01.09.2020
"Nothing New, Everything New": Der Trend Council der Heimtextil tagte und gibt die Trendrichtung für 2021/22 bekannt. Revive ist einer der Trends: Er verlagert den Blick vom Ergebnis auf das Verfahren und betont den Prozess und das Dazwischen. Typisch für Revive: Layerings und Destorted Patterns. | Foto: Andreas Houmann
"Nothing New, Everything New": Der Trend Council der Heimtextil hat getagt. Aus ihrer Prognose für die Textil- und Einrichtungstrends 2021/22 hat das international besetzte Designer-Gremium vier Trendwelten entwickelt, die während der Messe vom 12. bis 15. Januar im Trendspace in Halle 3 im Zentrum stehen. Das dazugehörige Trendbuch gibt es schon jetzt zu bestellen.
"Die Dinge müssen nicht unbedingt neu sein, es kommt darauf an, dass wir sie neu betrachten oder neu mit ihnen umgehen", erklärte Council-Vorsitzende Anja Bisgaard Gaede bei der Pressekonferenz des Trend Council, die live aus dem Svea Hotel in Frankfurt am Main übertragen wurde. Gaedes Büro Spott Trends & Business aus Silkeborg in Dänemark führte bei allen Trendmaßnahmen für die neue Saison Regie. Diesmal gehe es nicht nur um Trends für eine Saison, sondern um ein neues Narrativ für die Textilbranche, erklärte die Council-Vorsitzende.
Mitglieder des diesjährigen Trend Councils sind neben Anja Bisgaard Gaede von SPOTT Trends & Business, Anne Marie Commandeur vom Stiljinstituut Amsterdam und Kate Franklin und Caroline Till vom Londoner Studio FranklinTill. Anfangs persönlich, später Corona-bedingt in virtuellen Meetings teilten die vier ihre Einblicke in die Branche und schufen eine gemeinsame Vision dessen, wie wir uns morgen einrichten.
Der Anspruch an Produkte verändert sich. Während Textilien und Konsumgüter früher meist allein aus der Notwendigkeit heraus gekauft wurden, sollten diese Produkte im Verlauf des 20. Jahrhunderts immer häufiger auch Freude bereiten und einen eigenen Lebensstil abbilden. Dass sie ein Leben lang halten, stand nicht mehr im Vordergrund.
Doch sowohl die Konsumenten, als auch die Produzenten hätten erkannt, dass es Zeit sei, das allgemeine Verständnis von "neu" zu überdenken. Nicht nur die Konsumenten, auch die Branche selbst beginnen, existierende Systeme zu hinterfragen und lassen neue Arbeitsweisen entstehen, lautete eine Überlegung des Trend Councils.
Die vier für die Heimtextil 2021 konzipierten Trendwelten greifen diese Idee der Neubewertung auf: Repurpose - Umfunktionieren, Rewild - aus dem Fundus der Natur schöpfen, Reinforce - Handfestes und Langlebiges schaffen und Revive - mit Kreativität spielen.
Dabei sei das Team von vier verschiedenen Verbrauchertypen ausgegangen, erklärte Anja Bisgaard Gaede. Der Repurpose-Typ sei gemeinwohl- und familienorientiert, liebe Harmonie und lebendige Verbindungen. Der Rewild-Typ richte sein Leben nachhaltig aus, denke gerne konzeptionell, ihm ist Positives Denken wichtig. Der Reinforce-Typ achte auf Funktionalität, sei loyal und introvertiert, wolle nur wenige Veränderungen. Für ihn gelte: Akzentuieren, nicht komplett neu machen. Der Revive-Typ schließlich sei kreativ, habe Freude am eigenen Ausdruck, spiele gern mit Jugendlichkeit, wolle sich fühlen und ausprobieren und sei gern Teil des Verfahrens hinter einem Produkt, nicht nur dessen Besitzer.
Festgehalten sind die Ergebnisse des Trend Council im neuen Trendbuch. Auf der Heimtextil werden sie im Trendspace in Halle 3.0 in einer umfassenden Inszenierung zu sehen sein. Entworfen wurde das Areal von Spott Trends & Business und dem dänischen Raumgestaltungsstudio Modus A/S. Dabei werde es auch um einen neuen Umgang mit Raum gehen, verriet Anja Bisgaad Gaede. Das neue Konzept arbeite mit dem Raumvolumen, nicht nur mit der Fläche. Ihr Team habe in Kubikmetern, nicht in Quadratmetern gedacht.
Entsprechend des "Material Manifests", das Heimtextil und Trend Council im vergangenen Jahr veröffentlicht hatten, verpflichten sich die Designer zu einer nachhaltigen Gestaltung des Trend Space. Dabei gilt es, möglichst wenig Müll zu produzieren, wiederverwertbare Materialien zu nutzen und den ökologischen Fußabdruck so gering wie möglich zu halten.
Caroline Till ist Co-Founder des Londoner Studios FranklinTill, das 2021/22 das das Konzept für die Future Material Library erstellt hat.. | Foto: FranklinTill
Nach der erfolgreichen Premiere im Januar 2020 wird es eine zweite Ausgabe der "Future Material Library" im kommenden Jahr auf der Heimtextil geben. Diesmal hat das Londoner Studio FranklinTill die Sammlung aus innovativen, ressourcenschonenden Materilien zusammengestellt und neue, alternative Fertigungsprozesse recherchiert.
Dabei ließ sich das Team um Kate Franklin und Caroline Till von vier Ausgangsfragen leiten: Wie kann die Textilindustrie den Faseranbau aus regenerativen Pflanzen in ökologischer Landwirtschaft unterstützen? Wie können bereits verarbeitete Fasern für neue Produkte wiederaufbereitet werden und zwar am besten mehrmals? Lassen sich die Fasern auch aus Abfallströmen benachbarter Industrien wie der Landwirtschaft gewinnen? Wie lässt sich das Finishing der Textilien, also deren funktionale Ausrüstung und Färbung, ökologisch gestalten?
Caroline Till, die aus London zugeschaltet warm gab einen Einblick in die Rechercheergebnisse und nannte als Vorgeschmack auf die Messe beispielhaft vier innovative, bereits marktreife Initativen:
Hanf als Faser für Textillien ist robust und kann ressourcenschonend angebaut und verarbeitet werden. Das von einem internationalen Forscherteam am Institute of Technology in Stockholm entwickelte Verfahren Re:Newcell kann Fasern aus abgelegter Kleidung wie Jeans in Zellulose zurückführen. Pinatex ist ein Textil aus Ananasblättern, die als Abfallprodukt nach der Ernte bisher entsorgt wurden, und das japanische Textilunternehmen Toyoshima arbeitet daran, Textilfarben aus Lebensmitteln zu gewinnen.
Die Besucher des Trendspace dürfen sich auf eine Inszenierung der neuen Farben, Materialien und Designs freuen. Vier Trendwelten bilden dabei die gesammelten Inhalte ab: Repurpose, Rewild, Reinforce und Revive.
Was kann alles aus bereits bestehenden Stoffen erschaffen werden? „Repurpose" erzählt die Produktentwicklung in der Textilindustrie neu: Während der klassische Designprozess damit beginnt, neue Rohstoffe zu beschaffen, geht es beim Trend „Repurpose" darum, gebrauchte Materialien für neue Produkte zu nutzen. Von der Kreation bis zur Kuration – „Repurpose" gibt vorhandenen Textilien einen neuen Zweck und würdigt das, was bereits hergestellt wurde. „Repurpose" steht für einen Trend, der in Zukunft eine immer wichtigere Rolle spielen wird.
Welcome to the jungle: Die Menschen haben in der postmodernen Welt den Bezug zur Natur verloren. Das hat auch Auswirkungen darauf, wie Individuen das Ökosystem, in dem sie leben, verstehen und wie sie es nutzen. Der Trend „Rewild" thematisiert die Rückkehr zum ursprünglichen, wilden Zustand der Natur. Es geht darum, die Weisheit der Natur zu verstehen und von ihr zu lernen: Natürliche Ressourcen werden wiederentdeckt und in einem modernen Kontext angewendet. So können nachhaltige und regenerative Lösungen die Produktentwicklung der Branche bereichern. Schätze der Natur, indigene, wilde und grundlegende Lebensbedingungen – all das spiegelt sich visuell und textil im „Rewild"-Trend wider.
Roh, belastbar, ausdrucksstark: Für den Trend „Reinforce" stehen die Stärkung von Materialien und ein vom Brutalismus geprägtes Design im Vordergrund. Die Stimmung von „Reinforce" ist einfach und mutig, der Look ehrlich, robust und minimalistisch. Inspiriert ist der Trend von der schlichten Funktionalität und Beständigkeit skandinavischen Designs. Schwere und beständige Materialien stehen im Fokus und schaffen handfeste Textilien für die Ewigkeit – sowohl visuell als auch kompositorisch.
Kreativität und jugendlicher Aktivismus: Der Trend „Revive" reflektiert die Haltung und das Verhalten gegenüber der „Welt der Dinge" in der heutigen Zeit. Es gibt keine Regeln: Statt den Fokus auf die Ergebnisse zu legen, ist das Ziel des Trends die emotionale Befriedigung während des Prozesses des Kreierens, Experimentierens und Lernens. Es geht darum, sich wieder mit den menschlichen Fähigkeiten zu verbinden und den „Flow"-Zustand im Kreationsprozess wiederzubeleben und zu würdigen – das Endprodukt ist dabei zweitrangig. Während Reparaturen früher noch als rein handwerkliche Tätigkeit angesehen wurden, ist der Akt des Reparierens heute eine schöpferische Methode – der Experimentierfreudigkeit sind keine Grenzen gesetzt.
Der Trend Space wird nach dem Hygiene- und Sicherheitskonzept umgesetzt, das die Messe Frankfurt in Abstimmung mit den Behörden erarbeitet hat. Präsentationsfläche und das Vortragsareal sind groß genug, um den vorgegebenen Sicherheitsabstand von 1,50 Metern einhalten zu können.
www.heimtextil-trends.com | www.heimtextil-blog.com | www.heimtextil-messefrankfurt.com
Einen ausführlichen Bericht lesen Sie in Interior|Fashion #5, Erscheinungstermin: 19. Oktober 2020
dazu:
Wie wir in Zukunft leben werden | Trends in neuem Gewand
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