15.02.2021
Neolign ist ein Holzverbundwerkstoff und besteht zu 83% aus Holzresten, einem Nebenprodukt der Holzindustrie. Dieses wird unter Hitze und Druck mit einem thermoplastischen Polymer und mit Farbe vermengt. Aus dem Granulat werden Platten für die Möbelkonstruktion gepresst. | Fotos: Wye Design
Ferdinand Krämer und Franziskus Wozniak sind Studienfreunde. Als Berufsanfänger haben der Produktdesigner und der Wirtschaftsingenieur neben ihren Hauptberufen den kreislauffähigen Holzverbundwerkstoff „Neolign" entwickelt. Inzwischen haben sie sich mit „Neolign" selbstständig gemacht und unter dem Namen „WYE Design" ein Start-up gegründet. Ihre erste Kollektion, die Möbelserie |chamfer|, ist seit Oktober auf dem Markt. Im Interview mit Interior|Fashion gibt Ferdinand Krämer Einblick in den Design- und Produktionsprozess.
Stehen für kompromissloses Design: Ferdinand Krämer (rechts) und Franziskus Wozniak, Gründer und Geschäftsführer von WYE.
Ferdinand Krämer: Die bestand wohl auch darin, dass wir für die Markteinführung von „Neolign" ein eigenes Unternehmen gegründet haben. Mit der Neugründung haben wir die Möglichkeit, den gesamten Prozess der Produktentwicklung, von der Herstellung des Materials bis zu dessen Wiederverwertung, selbst zu gestalten. Nur so konnten wir eine Infrastruktur schaffen, mit der die Rücknahme und hundertprozentigen Wiederverwendung unseres Materials auch tatsächlich gewährleistet ist.
Dazu haben wir zunächst einen kreislauffähigen Werkstoff entwickelt, der auch über seine Nutzung im Möbeldesign hinaus als Rohstoff für einen technischen Kreislauf dient und auch anderen Industrien zur Verfügung stehen kann. In der Zusammenarbeit mit einem großen, bereits im Markt etablierten Unternehmen wäre das so nicht möglich. Denn dort sind die Prozesse meist sehr komplexw angelegt und exakt auf die bisher gewohnte, herkömmliche Produktionsweise ausgerichtet. Solche Prozesse im Sinne der Kreislaufwirtschaft umzustellen, wäre schwierig. Deshalb heißt es von Seiten der Unternehmen oft: Nachhaltigkeit sei teuer.
Ferdinand Krämer: Wir hatten das Glück, 2019 über einen Start-up-Inkubator rund 5.000 Euro als Startkapital zugesprochen zu bekommen. Ungefähr so viel haben mein Partner Franziskus und ich jeweils noch einmal aus eigener Tasche draufgelegt, um den Prototypen zu finanzieren und die Materialforschung voranzutreiben. Alles weitere konnten wir mithilfe der KfW vorfinanzieren. Denn das Material haben wir vorproduziert, sind also in Vorleistung gegangen. Auch dafür ist eine Unternehmensneugründung gut: Wir können unsere Prozesse von vornherein so anlegen, dass sie für uns rentabel bleiben und ökologisch sind.
Ferdinand Krämer: Kreislauffähiges Design erfordert viel Eigeninitiative, ausgiebige Recherche und eine gewisse Kompromisslosigkeit. Im Designprozess, ob bei der Ideenfindung oder später, wenn es an die Wahl des Materials oder Verfahrens geht, gibt es immer Momente, an denen man einen Kompromiss eingehen könnte, etwa, um schneller zu einem Ergebnis zu kommen oder kostengünstiger zu produzieren. Oder aber, man wendet eben weiter Zeit und Energie auf, um ein besser geeignetes Material, ein noch besser geeignetes Verfahren zu finden.
Die Frage ist immer: Stecke ich weitere Energie in die Suche nach einer Alternative oder geb ich mich mit einem Kompromiss zufrieden und mache Abstriche an meinen ökologischen und sozialen Anforderungen an das Produkt? Es gibt viele ökologische und ethische Aspekte, die im Designprozess zu klären sind, aber nicht sofort am Produkt oder dessen Preis ersichtlich sind. Wenn man diesen Grundsätzen treu bleibt, bedeutet das einen Mehrwert, der sich vielleicht nicht unbedingt günstig auf die Produktion auswirkt, wohl aber in den Unternehmensprozessen, sei es durch eine geringere Logistik oder direktere Kommunikation.
Ferdinand Krämer: Designer sind Materialentdecker. Das ist meiner Meinung nach sogar die wichtigste Aufgabe von Design.
Ferdinand Krämer: Viel wichtiger ist die Frage, ob die eingesetzten Materialien und die einzelnen Bestandteile sinnvoll und funktional eingesetzt sind. Mir ist wichtig, dass sich das Material in seinem Design, also in seiner Zusammensetzung, logisch erschließt. Daraus entsteht meiner Meinung nach auch die Schönheit eines Produkts. In der Öffentlichkeit versteht man unter ,Designʽ ja häufig die ,Schönheitʽ eines Produkts. Für mich liegt die Schönheit des Designs aber in der Stimmigkeit der Konstruktion. Wenn jedes Element eine klare Funktion hat und alle Elemente sichtbar ineinandergreifen, das macht ein Design schön. Dafür muss man aber auch nicht mehr Material verwenden, als nötig ist. Man muss das Produkt sozusagen nicht größer machen, als es ist.
Ferdinand Krämer: Neolign ist ein Holzverbundwerkstoff und besteht zu 83% aus Holzresten, einem Nebenprodukt der Holzindustrie. Dieses wird unter Hitze und Druck mit einem thermoplastischen Polymer und mit Farbe vermengt. Daraus erstellen wir ein Granulat, aus dem Platten gepresst werden. Diese Platten lassen sich genauso verarbeiten wie Kunststoff, nämlich in Extrusionsverfahren, im Spritzguss oder im 3D-Druck. Übrigens ist es das Polymer, also der Kunststoff, der dafür sorgt, dass sich auch bereits verarbeitetes Material wieder granulieren und ohne Abstriche in der Qualität verarbeiten lässt.
Das handhaben wir bereits jetzt in der Produktion, wo beim Extruieren oder Fräsen Nebenprodukte anfallen – ich sage bewusst, Nebenprodukte, nicht Abfälle, denn es handelt sich um einen wertvollen Rohstoff –, der sich in die Produktion wieder einspeisen lässt. Verschnitt und Späne, die bei der Produktion anfallen, fangen wir also heute schon auf und verwerten sie restlos wieder.
Übrigens haben wir nicht zuletzt über das Netzwerk des Deutschen Nachhaltigskeitspreises einige Anfragen von Architekten und Designer erhalten, die sich für das Material für eigene Entwürfe und Planungen interessieren. Das kommt uns entgegen, denn je größere Mengen Neolign wir produzieren können, desto günstiger wird die Produktion.
Ferdinand Krämer: Der Endkunde ist es, der den Kreislauf startet, das war uns wichtig. So können wir ihn mit unserer Kreislauf-Philosophie besser mitnehmen. Bei Möbeln geht man ja von einer Nutzungsdauer von fünf bis sieben Jahren aus, dann will sich der Privatkunde neu einrichten und rangiert alte Stücke aus. Ich sage bewusst, Nutzungsdauer, nicht Lebensdauer. Natürlich halten Möbel sehr viel länger, aber was nützt das, wenn sie nicht so lange in Gebrauch sind. Der Kunde adressiert also das Produkt, das er nicht mehr braucht, an unser Unternehmen zurück. Wir berechnen dann den Materialwert und erstatten den entsprechenden Betrag an den Kunden zurück. Aus dem zurückgegebenen Produkt fertigen wir neues Granulat, das wir wieder in die Produktion geben oder auch anderen Industrien zur Verfügung stellen. Gerade sind wir dabei, ein Netzwerk aus interessierten Partnern zu knüpfen.
Ferdinand Krämer: In einem nächsten Schritt wollen wir unser Start-up zur Marke weiterentwickeln und dazu unser Portfolio erweitern. Entwürfe für Accessories und eine weitere Möbelkollektion sind schon in Vorbereitung. Das ist auch wichtig, um für Händler interessanter zu werden. Bei einigen, wie Ikarus oder Haus von Eden sind wir schon gelistet, mit anderen sind wir im Gespräch.
Wir wollen uns nicht über Exklusivität verkaufen, das steht fest. Denn wir verbinden mit unserem Produkt eine Botschaft und haben eine Geschichte zu erzählen, die eine breite Zielgruppe ansprechen soll. Deshalb haben wir uns für unsere erste Fertigung auch für eine Möbelkollektion entschieden, denn aus unserem Material hätten wir auch, sagen wir, Bodenbeläge fertigen können. Aber ein Möbel steht immer schon als Botschafter im Raum. Es zieht die Blicke auf sich, wird berührt und erzählt auch als Objekt immer eine Geschichte.
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