21.12.2020
Das Design des Modells "Ballerina" stammt von Oki Sato und Nendo Architects. Das Konzept des Showrooms ebenfalls. | Fotos: Hiroki Tagma
Produkte wie Kunstwerke zu inszenieren, ist im Premiumsegment des Handels längst Konvention. „Art Priming"* nennt man das Konzept, dem Besucher den Rahmen für das Bild, das er sich von der Ware macht, in deren Präsentation mit vorzugeben: durch subtil gesetzte Codes aus Architektur, Kunst- und Kulturgeschichte. Die Botschaft: Was du hier siehst, ist einzigartig, der Alltagssphäre enthoben, rar und teuer. Ganze Showroom-Konzepte beruhen darauf. Ein Beispiel ist der Marsotto Showroom in Mailand. Das Konzept stammt von Nendo Architekten aus Japan.
Die Edition Marsotto lebt von den Qualitäten eines des edelsten und ältesten Gesteins der Welt: dem weißen Carrara-Marmor. Abgebaut wurde dieser bereits zur Zeit der Römer, seine weltweite Berühmtheit erhielt er aber erst durch Michelangelo und dessen aus einem Marmorblock gehauenen Skulptur des "David".
Auch heute arbeiten für die Kollektion Marsotto Designer von Weltrang mit dem faszinierenden Material, darunter David Chipperfield, Jasper Morrison oder Oki Sato vom japanischen Büro Nendo, das auch den neuen Showroom im Brera Design Distrikt in Mailand konzipierte.
Im Erdgeschoss steht der Marmor noch völlig für sich. Weiße, zurückhaltende Wände überlassen den Raum ganz dem spärlich und als bloßes Akzentmaterial eingesetzten Marmor. Die schlichte Gestaltung lässt viel Raum, das Material als solches auf sich wirken zu lassen und physisch zu erleben. Zur Rechten geraten zwei dünne Marmorplatten, die verschiedene Bearbeitungsstufen dokumentieren, in den Blick. Weiter hinten verbirgt ein Raumteiler aus perforierten Marmorplatten die Sicht auf die Treppe ins Untergeschoss, wo sich der eigentliche Showroom befindet. Der Perforierung verleiht dem marmornen Sichtschutz eine netzartige Struktur. Sie nimmt der Monumentalität des Marmors die Wucht und bringt Transparenz und Helligkeit in den Raum.
Der eigentliche Showroom befindet sich eine Etage tiefer im Kellergewölbe, einem weitläufigen, offenen, aber klar zonierten Raum, der vollständig mit Marmor ausgekleidet ist. Nur wenige, klare Linien geben dem Raum Kontur und setzen sich in den aus Marmor gehauenen, hinterleuchteten Sockeln und Podesten fort, die den ausgestellten Objekten als Bühne dienen. Ihre einzige Funktion: Die Faszination am Material wecken.
Verstellte Sichtachsen und asymmetrische Wände spielen mit der Raumtiefe und geben unerwartete Einsichten und Perspektiven frei. Dennoch musste die Raumaufteilung flexibel bespielbar bleiben, um wechselnde Ausstellungen zu ermöglichen.
Im kleinsten Raum scheint die innere Ecke zu einer glatten, halbrunden Fläche zusammenzuschmelzen, ähnlich einem Rundhorizont in einem Fotostudio. In diesem Halbrund stecken Musterplatten mit verschiedenen Marmorierungen und Finishes in der Wand. Der Besucher ist eingeladen, sie heraus zu nehmen, um ihre Haptik und Lichtbrechung zu testen. Unter jeder Musterplatte steht der daraus gefertigte Hocker, und zwar immer ein und dasselbe Modell: "Ballerina" von Oki Sato. Die uniforme Gestaltung soll den Blick ganz auf die Vielseitigkeit der Materials lenken.
Ein langer, schmaler Raum ist dem "Marsotto kitchen and dining table" gewidmet. Er dient zugleich als Konferenztisch für Lunch Meetings oder für Events mit Catering. Im Hintergrund zieht sich das modulare, wandhohe Regal "Place" an der Wand entlang.
* Der Begriff des "Art Priming" stammt von Christian Mikunda. Er gilt als Begründer der strategischen Dramaturgie und hat zahlreiche Bücher zum Thema geschrieben.
© 2024 dieschmidt – Fachverlag für gedruckte und digitale Medien e.K. – Alle Rechte vorbehalten.