14.12.2020

Inspirationsmeile fürs Ladendesign

Visualisierung Haupteingang

Nach der Revitalisierung soll das ehemalige Hertie-Kaufhaus in Herne zum neuen Anziehungspunkt der Innenstadt werden. | Visualisierungen: Landmarken AG

Das ehemalige Hertie-Kaufhaus in der Herner Innenstadt wirkte selbst im Leerstand noch stadtbildprägend. Das Gebäude von 1961 ist ein Spiegel der Wirtschaftswunderzeit und steht unter Denkmalschutz. Claudia Roggenkämper, Partnerin des Düsseldorfer Büros HPP Architekten, hat es behutsam revitalisiert und zur Mixed-Use-Immobilie umstrukturiert. Im Gespräch mit Interior|Fashion gibt sie Einblick in den Zeitstil der 50er- und 60er Jahre, der auch im Ladendesign wieder Einzug hält. 

Frau Roggenkämper, was macht für Sie die Identität dieses Gebäudes aus?

Die großen Warenhäuser der Wirtschaftswunderzeit sind ganz besondere Häuser. Die 1950er/1960er Jahre, in denen sie entstanden sind, haben eine ganz eigene Eleganz. Das war eine Zeit, in der man zeigen wollte: Es geht wieder aufwärts. Man wollte sich profilieren, deutlich machen: Man ist wieder wer.


Was diese Gebäude auch geprägt hat: Die Bauherren waren auch die späteren Nutzer. Theodor Althoff hat den Prestigebau auch genutzt, um sich mit seinem Namen und Unternehmen in der Stadt darzustellen. Das ist ein eklatanter Unterschied zur Investorenarchitektur von heute, wo zu Beginn der Planungen meist noch völlig ungewiss ist, wer der Nutzer sein wird.


Heute muss eine Handelsimmobilie möglichst flexibel sein, auf keinen Fall zu speziell. Sie darf nicht polarisieren.

Worin liegt der architektonische Reiz der Neuen Höfe in Herne?

Die Architektur ist von faszinierender Eleganz. Die Lamellenfilter vor der Fassade, die schmalen Fensterbänder und -profile, das zurückgesetzte Staffelgeschoss. All das bewirkt eine schlanke, elegante Anmutung, die nach wie vor eine starke Anziehung ausübt, auch noch nach zehn Jahren Leerstand. Die eigentliche Raffinesse des Althoff-Gebäudes liegt aber in der Eleganz des Tragwerks. Das ist alles sehr filigran, trotzdem solide konstruiert, was übrigens lange aus dem Blick geraten war. Unter Denkmalschutz steht das Gebäude ja erst seit 1995. Bis dahin hatte das Gebäude kontinuierlich immer wieder bauliche Änderungen erfahren. Doch genau das ist das Spannende an Revitalisierungen: Man schält die Originalstruktur wieder heraus. Dazu hatten wir Einsicht in die Originalpläne bei der Stadt Herne und konnten so unsere Rückschlüsse ziehen.

Was konnten Sie aus dem alten Baukörper alles herausschälen?

Beispielsweise waren die Lamellen nicht immer blechverkleidet und etwas schmaler. Dem sind wir wieder nähergekommen, um die schlanke Anmutung des Gebäudes zu unterstreichen. In Abstimmung mit dem Denkmalamt konnten wir auch die Raumtiefe der Lamellen von 90 cm auf 45 cm reduzieren und so einen deutlich stärkeren Lichteinfall erreichen.


So eine Handelsimmobilie hat ja bekanntlich eine enorme Raumtiefe. Das heißt, es gibt sehr viel Dunkelfläche im Innern. Für das Kaufhaus war das so gewollt. Der Besucher sollte beim Bummeln mit einem Blick nach draußen nicht die Tageszeit ablesen können. Er sollte nicht merken, wie die Zeit vergeht und sich möglichst lange aufhalten. Um aber diese Innenflächen in den Neuen Höfen belichten zu können, schnitten wir zwei Lichthöfe in den Baukörper, und zwar exakt abgestimmt auf die Tragstruktur von acht Metern auf acht Meter.


Dieses 8 m x 8 m Raster ist übrigens ein weiteres Charakteristikum der Konstruktion. Es liegt dem gesamten Flächenzuschnitt zugrunde. Man hat die beim Bau zur Verfügung stehende Grundfläche nicht bis zum Letzten ausgeschöpft, sondern sich Raum zur Gestaltung gegönnt. Davon zeugen auch die an der linken Gebäudeseite aufgefächerten, versetzten Lamellenfronten, die die Hauptfront mehrfach spiegeln. Dadurch entstehen markante rechte Winkel, die ebenfalls gebäudeprägend sind.

Markant ist auch das geschwungene Vordach...

Das Zusammenspiel geschwungener und eckiger Formen ist typisch für die Architektur der Wirtschaftswunderjahre. Das Vordach verläuft parallel zur Seitenstraße, es passt sich deren Verlauf an und überträgt den Straßenschwung in den Dachbogen. Dadurch entsteht dieser Eindruck von Bug und Welle, als schlüge das Kaufhaus eine Schneise in den Passantenstrom. Nachts ist dieser Eindruck im Übrigen noch stärker, dann säumt nämlich das Licht der Langfeldleuchten in der Unterdecke das Vordach, ein Detail, das wir ebenfalls den Originalplänen entnommen haben.

Welche besonderen Raumqualitäten bietet die Fläche eines Warenhauses für heutige Nutzungen?

Betriebstypen, die besonders gut mit tiefen Flächen zusammengehen, sind Fitnesscenter und der großflächige Einzel- und Lebensmittelhandel. Dem Bauherren und Eigentümer, der Landmarken AG, ist es gelungen, beide Typen als Mieter zu gewinnen. In das Untergeschoss zieht eine Fitness-Kette ein, im EG ist eine große Supermarktfläche reserviert.


In das große Ecklokal unter dem Vordach zieht eine Gastronomiekette ein. Zu dieser Fläche gehört auch ein großzügiger Außenbereich, der an die Fußgängerzone angrenzt, den wir bewusst großflächig gestaltet haben, um noch mehr Aufenthaltsqualität zu erreichen.


Alle weiteren Ladenlokale reihen sich entlang des Schaufensterbandes an der Straße auf, als abgeschlossene Einheiten mit separaten Eingängen und viel Tageslichteinfall. Generell ist es so: Derjenige, der sich zuerst als Mieter verpflichtet, hat auch den meisten Spielraum, Vorgaben bei der Flächenaufteilung zu machen.

Was bedeutet in diesem Zusammenhang Revitalisierung?

Revitalisierung hieß hier: Den Baukörper unter Berücksichtigung der historischen Bausubstanz, Gestaltung und Tragwerkskonstruktion für die Zukunft fit zu machen und dabei für jegliche Art der Nutzung offen zu bleiben.

Haben Sie zum Beispiel einen Tipp für Innenarchitekten, die sich in ihrer Gestaltung an der Außenfassade orientieren wollen?

Oh, da gibt es viele Möglichkeiten, Architekturzitate zu finden. Charakteristisch ist die Fliesenfassade, die wir im Originalraster 20 cm / 40 cm aufgenommen haben. Am Haupteingang im Erdgeschoss ist sie als Pfostenriegelfassade mit türkisgrünen Riemchenfliesen umgesetzt. Im Dachgeschoss sind es weiße 20 cm x 40 cm Fliesen. Zeittypisch ist auch das schlanke Stabgeländer der Dachterrasse mit Ober- und Untergurt.

Das Projekt in Kürze:

- Mixed-Used-Immobilie aus Büro- und Gastroeinheiten, Lebensmitteleinzelhandel, Fitnesscenter und kleineren Retailflächen
- Bauherr und Eigentümer: Landmarken AG
- Revitalisierung im Bestand mit Denkmalschutz
- Bruttogeschossfläche ca. 18.000 qm, davon ca. 13.000 oberirdisch
- frühere Nutzer: Kaufmann AG, Theodor Althoff AG, Rudolph Karstadt AG, Karstadt Gruppe, Hertie GmbH
- Leerstand seit 2009
- Wiedereröffnung: Frühjahr/Sommer 2021


 


www.hpp.com | www.landmarken-ag.de