05.11.2020

Die Frage nach dem Zweck

Abbildungen: 1zu33/Wilkhahn

Mit dem „Human Centered Workplace" hat Wilkhahn einen konzeptionellen Ansatz für die Erarbeitung von Planungsgrundlagen für Bürowelten veröffentlicht. In der Ausgabe 5 von InteriorFashion haben wir mit Burkhard Remmers, bei Wilkhahn verantwortlich für internationale Kommunikation, über die Hintergründe und Inhalte gesprochen. In virtuelle Bilder übersetzt hat den „Human Centered Workplace" schließlich das Münchner Studio 1zu33. Über die Vorgehensweise und die Zukunft des Büros im Allgemeinen sprachen wir mit Georg Thiersch, Executive Partner.

InteriorFashion: Herr Thiersch, Sie haben für Wilkhahn den Planungsansatz „Human Centered Workplace" in virtuelle Bilder übersetzt. Verortet sind diese im Stadtteil Nordhavn in Kopenhagen. Warum haben Sie ausgerechnet diesen Ort gewählt?
Georg Thiersch: In Nordhavn entsteht eines der modernsten Viertel Europas, basierend auf Neubauten aber auch Bestandsgebäuden, die entsprechend ihrer Qualitäten umgenutzt werden. Zudem haben die Dänen bzw. die nordischen Länder im allgemeinen eine andere Art, mit dem Thema Arbeit umzugehen. Kollegen, die bereits in Dänemark gearbeitet haben, berichten von einer eher entspannteren menschlichen Grundhaltung, aber sehr strukturierten und effektiven Arbeitsweisen.


IF: Worin liegt die Besonderheit des Human Centered Workplace?
Thiersch: Bei der Konzeption von Arbeitswelten gibt es schon länger den Ansatz, nicht nur auf effiziente Arbeitsabläufe und die Abbildung von Hierarchien zu achten, sondern vielmehr gibt es zwei Gesichtspunkte, die im Fokus stehen. Zum einen, dass man Arbeitswelten entstehen lässt, die die Unternehmenskultur für den Mitarbeiter erlebbar machen. Das ist wesentlich, um die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen zu stärken.
Zum anderen gilt es, Situationen in den Arbeitsalltag zu integrieren, in denen man ganz Mensch sein kann. Beispielsweise, dass Rückzugsbereiche, aber auch Kommunikationsflächen für den informellen Austausch zwischen den Mitarbeitern und Kollegen vorgesehen werden. Eben eine Umgebung entstehen zu lassen, in der der Mensch mit seinen Bedürfnissen im Zentrum steht. Je mehr wir uns als Mensch wahrgenommen fühlen, desto einfacher fällt es uns, herausragende Leistungen zu vollbringen. Um so einfacher der informelle Austausch zischen den Mitarbeitern ist, umso mehr können Informationen fließen, innovative Gedanken fruchtbaren Boden finden. Die kleinen Auszeiten sind übrigens nicht nur für Mitarbeiter gut, sondern auch für den Arbeitgeber. Oftmals entstehen innovative Ideen innerhalb des entspannten Miteinanders. Das wurde auch in zahlreichen Studien, unter anderem vom Fraunhofer Institut, so festgestellt.
Weiterhin nicht neu ist, dass der Arbeitsplatz ergonomisch "gesund" gestaltet sein sollte. Licht und Luft und die Flexibilität den Arbeitsplatz so einzurichten, wie er gerade benötigt wird. Zum Beispiel der Wechsel zwischen sitzender und stehender Tätigkeit ist enorm positiv für die Gesundheit. Das dauerhafte, statische Sitzen ist ein echter "Killer". Das hat nicht nur negative Auswirkungen auf den Rücken, sondern auch auf die Atmung, die Konzentration und natürlich auch auf das Herz-Kreislauf-System.
Neu ist allerdings, dass Wilkhahn all diese Erkenntnisse zum Wohlergehen der Mitarbeiter zusammenfassend artikuliert, und mit einer Produktphilosophie beantwortet und zudem um einen weiteren wesentlichen Ansatz ergänzt hat: dem Purpose. Das heißt, die Frage nach dem Zweck eines Unternehmens, der nun genau wie die Frage nach der Identität eines Unternehmens im Fokus steht, und damit die Gestaltung einer Arbeitsumgebung maßgeblich prägt. Wir sprechen also letztendlich von einem Kleeblatt, bestehend aus: Identity, Collaboration, Well-Beeing und Purpose.

IF: Und dieses Kleeblatt als Anforderung an eine moderne Bürowelt haben Sie nun in einem virtuellen „Wilkhahn-Haus" umgesetzt. Wie haben wir uns das vorzustellen?
Thiersch: Wir haben das virtuelle Projekt wie ein reales Projekt behandelt. Das heißt, es gibt einen realen Ort und es gab auch reale Planungsanforderungen. Fiktiv ist das Unternehmen. Wir haben uns bewusst für ein Publishing House entschieden, denn wir wollten einen "virtuellen" Bauherren mit einem möglichst breiten Anforderungsprofil an die Funktionalität der Arbeitswelt. In einem Publishing House stehen kulturelle und kommunikative Aspekte sowie Nachhaltigkeit im Fokus. Und dafür muss es Räume geben: Einzelbüros, Think Tanks, Kreativräume. Räume, in denen Teams unterschiedlicher Größe flexibel zusammenarbeiten können.
Man benötigt aber auch eine große Bibliothek, ein Forum, in dem kommuniziert oder Vorträge gehalten werden können. Es braucht ebenso eine gastronomische Einrichtung sowie eine Plattform, einen Ort, an dem die Produkte des Unternehmens gezeigt werden können. In diesem Fall in Form eines Bookstores. Und zu guter Letzt ist die Zugänglichkeit von außen ein wichtiger Faktor. Viele Unternehmen spielen mit dem Gedanken, Menschen von außen einzuladen und aktuell ungenutzte Flächen beispielsweise durch ein Co-Working-Angebot oder über ein Tagungsforum zu bespielen. Alles mit dem Ziel, Austausch zu schaffen und einen direkten Kontakt zu Menschen außerhalb des Unternehmens zu erhalten.
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass wir den Input aus dem oben beschriebenen Kleeblatt so gefasst haben, dass der Unternehmensgeist, die Unternehmskultur spürbar wird. Und zwar weniger auf funktionaler Ebene, sondern über die Gestaltung. Das reicht von der Auswahl der Materialien, Farben und Oberflächen über die Überlegung, wie hohe Räume gegenüber niedrigen Gebäudezonen funktionieren. Bis dahin, dass wir Flächen so organisiert haben, dass sie eine Mehrfachfunktion erfüllen.

IF: Wem ist dieser Planungsansatz aus Ihrer Sicht dienlich? Konnten auch Sie neue Erkenntnisse daraus ziehen?
Thiersch: Der Ansatz richtet sich an Planer von Arbeitswelten, deren Aufgabe es ist, ständig auf die sich ändernden Anforderungen der Arbeitswelt zu reagieren. Hier ist viel Offenheit gefragt, Arbeitswelten immer wieder neu zu denken, und dazu benötigt der Planer viel Input. Mit dem Human Centered Workplace wollen wir hier einen Beitrag leisten. Nebenbei gesagt: Auch für uns haben sich im Verlauf des Projektes neue Ansatzpunkte ergeben, wie wir in Zukunft an das Thema Büroplanung herangehen.


IF: Ist der Ansatz des Human Centered Workplace ausschließlich auf Produkte von Wilkhahn ausgerichtet?
Thiersch: Nein, das nicht, aber Wilkhahn bietet natürlich eine Vielzahl sehr spannender Produkte, die genau in dem weiteren Zusammenhang des Human Centered Office besonders wirkungsvoll sind. Wilkhahn legt bei der Konzeption seiner Produkte großen Wert auf Flexibilität. So haben wir beispielsweise im Innovationsraum ein Möbel eingesetzt, das sich mit einem Handgriff von einem normalen Arbeitsplatz zu einem Stehtisch bis zu einem Whiteboard umwandeln lässt. Das offeriert eine Flexibilität in der Nutzung, die schon einzigartig ist. Insofern sind Wilkhahn-Produkte für diese Art der Büroplanung mehr als geeignet.

IF: Was müssen Büroräume heute aus Ihrer Sicht leisten bzw. wo liegen heute die Herausforderungen bei der Gestaltung von Büroräumen?
Thiersch: In unserem Haus hat sich gerade in den vergangenen Monaten herauskristallisiert, dass das Büro nicht mehr der Ort ist, an den man jeden Tag gehen muss, sondern vielmehr darf. Wir arbeiten hier aufgrund der aktuellen Situation in Schichten, d. h. Teams wechseln sich im 14-tägigen Rhythmus ab. Wir konnten feststellen, dass alle froh sind, wenn sie nach zwei Wochen wieder im Büro sein können. Das ist ein interessanter Punkt. Das Büro hat also einen anderen Stellenwert bekommen, was sich ja auch in dem Ausdruck des „human centered" wiederfindet.
Ich glaube nicht, dass wir ein völlig anderes Leben führen werden, wenn die Pandemie vorbei ist. Wir werden Erfahrungen aus dieser Zeit mitnehmen. Wie den Umgang mit dem Homeoffice, was dann wiederum Überlegungen nach sich zieht, wie sich Flächen einsparen lassen. Wenn zukünftig jeder Mitarbeiter einen Tag in der Woche von zuhause aus arbeitet, dann lässt sich, rein rechnerisch, 20% der Fläche einsparen. Aber wie gestaltet man das sinnvoll? Ich muss gestehen, eine abschließende Antwort habe ich noch nicht gefunden, aber es kristallisieren sich ein paar Ansätze heraus.


IF: Herr Thiersch, vielen Dank für die interessanten Einblicke in das Projekt.